Thomas Bernhard beschreibt in seinem Buch "ein Kind" das Martyrium, das für ihn mit einem Lehrerwechsel in der Schule begann. Als uneheliches Kind, von der überforderten Mutter mit Vorwürfen, aber auch mit Schlägen überhäuft, ist sein Halt sein anarchistischer Großvater, der ihn einerseits gegen die Schule aufbringt(alle Lehrer sind Dummköpfe), andererseits eben in diese Schule schickt. Das Kind leidet, obwohl begabt ist sein Kopf wie leer. Es fängt an zu schwänzen und gerät in einen Kreislauf von Strafe und Flucht vor der Strafe. Eindrücklich beschreibt Bernhard diese Kindheit zwischen Demütigung und Hochgefühl.

"Die Lehrer sind Zugrunderichter, sagte mein Großvater. Sie lehren nur, wie der Mensch niedrig und gemein wird, ein verabscheuungswürdiges Monster. Er liebe es, wenn sein Enkel, anstatt in die Schule zu gehen, auf dem Bahnhof sich eine Bahnsteigkarte löse und mit dieser Bahnsteigkarte nach Rosenheim oder München oder Freilassing fahre. Das ist ihm förderlich, nicht die Schule, sagte er, und wie gemein viele Lehrer sind! Was ihnen zuhause von ihren Frauen unterdrückt wird, lassen sie in der Schule an den Kindern aus. Ich habe die Lehrer immer verabscheut, mit Recht, mir ist noch kein Lehrer begegnet, der sich nicht in kürzester Zeit als gemeiner niedriger Charakter erwiesen hätte."(52)

Die Mutter dagegen verzweifelt an ihrem Sohn, sieht in ihm nur den Erzeuger, der sie im Stich gelassen hatte, und überschüttet ihn mit Vorwürfen: "Du hast mir noch gefehlt! Du bist mein ganzes Unglück, Dich soll der Teufel holen. Du hast mein Leben zerstört! Du bist an allem schuld! Du bist so ein Nichtsnutz wie Dein Vater!"

Mit dem geliebten Großvater unternimmt er lange Spaziergänge in der Natur.

"Er war mein großer Erklärer, der erste, der wichtigste, im Grunde der einzige. Tiere und Pflanzen bezeichnete er mit seinem Stock, an jedes auf solche Weise hervorgehobene Tier und an jede mit dem Stock ins Zentrum gestellte Pflanze heftete er einen kleinen Vortrag." (80)

"Die Spaziergänge mit ihm waren fortwährend nichts anderes als Naturgeschichte, Philosophie, Mathematik, Geometrie, Belehrung, die mich glücklich machte"(82)

Aufgrund seiner Aufgewecktheit wird er früher eingeschult.

"In den ersten Schultagen erinnere ich mich, hatten wir eine Petroleumlampe zu zeichnen, von allen abgelieferten Zeichnungen war meine am besten gelungen, die Lehrerin hob sie, vor der Tafel stehend, in die Luft und sagte, das sei die beste Zeichnung. ... Ich war der Lieblingsschüler der Lehrerin. Mit mir sprach sie in einem auffallend liebenswürdigen Ton, er war immer heller als der Ton für die anderen. Meine erste Lehrerin gefiel mir außerordentlich. Die meiste Zeit saß ich in der Bank ... und bewunderte sie. ... Am Ende des ersten Schuljahres stand auf dem Zeugnis, unterstrichen, hat einen besonderen Fleiß. Ich wusste selbst nicht, wie ich dazu kam. Ich hatte lauter Einser, das erste und gleichzeitig das letzte Mal in meinem Leben."(90)

"Mein Großvater hatte gesagt, dass die Lehrer Idioten seien, arme Schlucker, stumpfsinnige Banausen, dass sie auch schön sein können, wie meine Lehrerin, davon hatte er nichts gesagt. Ging die Schulklasse an den See, war es selbstverständlich, dass ich in der ersten Reihe war. Betraten wir die Kirche, betrat ich sie als erster. Bei der Fronleichnamsprozession war ich allein derjenige, der die Kinder anführte und die Fahne mit der aufgemalten Mutter Maria trug. Dieses erste Jahr brachte mir, was das Wissen betraf, nichts Neues, aber ich kostete es zum ersten Mal in meinem Leben aus, in einer Gemeinschaft der Erste zu sein. Es war ein Hochgefühl. Ich genoss es. Ich ahnte, dass es nicht für die Ewigkeit bestimmt war. In der zweiten Klasse hatten wir einen Lehrer, eine solche Figur, wie sie mir mein Großvater oft beschrieben hatte, mager, despotisch, nach oben buckelnd, nach unten tretend. Ich hatte ausgespielt. Die Klasse staunte, wie dumm ich auf einmal war, über Nacht. Kein Diktat war gelungen, keine Rechnung, nichts. Ich zeichnete, aber ich bekam nur ein genügend."(92) 

"Ich hasste auf einmal Tafel und Kreide, die ich bis dahin bewundert hatte, sie brachten nur Unheil. Die Griffel zerbrachen ihm, weil ich zu fest zu schreiben ansetzte, ich war kein Schönschreiber, es war nicht zu lesen, was ich ablieferte. Alle paar Tage hatte ich meinen Schwamm verloren... So war ich bald in einem Teufelskreis gefangen, der sich nach und nach zum Alptraum entwickelte und der mir schon in aller Frühe den Hals zuschnürte. Ich rutschte nach unten. Ein anderer war der Beste, ein anderer schritt voran, ein anderer trug die Marienfahne am Fronleichnamstag, ein anderer wurde öffentlich vor der Tafel belobigt. Ich musste jetzt oft vor dem Lehrerpult Aufstellung nehmen, damit der Lehrer mir mit dem Stock auf die Hand schlagen konnte. Ich hatte meistens geschwollene Hände. Zuhause sagte ich von meinem Missgeschick nichts. Ich hasste den Lehrer mit der gleichen Intensität, mit welcher ich die Lehrerin geliebt hatte."(94f) 

Ein Umzug von Österreich nach Bayern rettet ihn zwar vor dem Sitzenbleiben in der dritten Klasse. Aber in Bayern wird alles noch schlimmer.

"Als Esterreicher hatte ich es schwer, mich zu behaupten. Ich war dem Spott meiner Mitschüler vollkommen ausgeliefert. Die Bürgersöhne mit ihren teuren Kleidern straften mich, ohne dass ich wusste, wofür, mit Verachtung. Die Lehrer halfen mir nicht, im Gegenteil, sie nahmen mich gleich zum Anlass für ihre Wutausbrüche. Ich war so hilflos, wie ich niemals zuvor gewesen war. Zitternd ging ich in die Schule hinein, weinend trat ich wieder heraus. Ich ging, wenn ich in die Schule ging, zum Schafott, und meine endgültige Enthauptung wurde nur immer hinausgezogen, was ein qualvoller Zustand war. Ich fand keinen einzigen unter den Mitschülern, mit welchem ich mich hätte anfreunden können, ich biederte mich an, sie stießen mich ab. Ich war in einem entsetzlichen Zustand. Zuhause war ich unfähig, meine Aufgaben zu machen, bis in mein Gehirn hinein war alles in mir gelähmt. Dass mich meine Mutter einsperrte, nütze nichts. Ich saß da und konnte nichts tun. So fing ich an, sie zu belügen. Ich enteilte in die Stadt und ging heulend und angsterfüllt durch die Straßen und Gassen und suchte Zuflucht in den Parks und auf den Bahndämmen."( 113f)

Zu dem Scheitern in der Schule, seinem Weglaufen, seinen Lügen kommt noch das Einnässen. Nachts, aber auch tagsüber.

Intensiv auch diese Passage.

"Ich hatte einen neuen, beinahe tödlichen Titel zu tragen: Bettnässer! Wenn ich von der Schule nachhause kam, schon auf halber Höhe der Schaumburgerstraße, sah ich mein Leintuch mit dem großen gelben Fleck aus dem Fenster hängen. Meine Mutter hängte mein nasses Leintuch ... aus dem Fenster, zur Abschreckung, damit alle sehen was du bist! sagte sie. Gegen diese Demütigung kam ich nicht auf. Mein Bettnässen verschlimmerte sich mit der Zeit."(138)

Wie nun ist er daraus gekommen?

Er selber beschreibt einen Strang: das Laufen. Es gelingt ihm in dieser Disziplin, immer besser zu werden, er hat erste Erfolge, das spornt ihn an, er gewinnt Wettbewerbe, erringt Silbernadeln, die er in der Schule trägt.

"Ich hatte mehr Silbernadeln errungen als alle anderen. Noch ahnte ich es nicht, aber ich war schon der Held in der Schule. Ich war nicht aufmerksamer, ich war nicht besser als vorher, meine Noten zeigten meinen schulischen Aufstieg an. Das Wort Ertüchtigung war das Machtwort. Ich hatte es ausgenützt. Aus dem Gemiedenen war auf einmal der Begehrte geworden. In dieser Zeit hatte ich auch, ohne dass es mir zuerst aufgefallen wäre, mein Bettnässen eingestellt. Ich war der Held, nicht mehr der Bettnässer."(154f)

Mit dreizehn besteht er die Aufnahmeprüfung an der Handelsakademie in Passau mit mit besonderer Auszeichnung.(167)

Alle Zitate aus: Thomas Bernhard: Ein Kind. dtv. 2011

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