Jana - Kann man  seine Träume beeinflussen?

 

„Mein Vater hat mir die Zeitschrift „Psychologie heute“ über Träume geschenkt. Da steht drin, dass man seine Träume beeinflussen kann. Ich träume doch so schlecht. Was meinen Sie, kann man seine Träume wirklich beeinflussen?“

 „Welchen Traum möchten Sie denn beeinflussen?“

„Ich habe von meiner verstorbenen Großmutter geträumt. Sie lebt, und ich muss mich um sie kümmern. Sie läuft weg, sie säuft, sie ist senil, sie weiß nicht, wo sie ist, sie schreit mich an. Sie will sich von mir nicht helfen lassen. Sie schubst mich weg.“

 

Ein wichtiger Traum, denke ich, während Jana ihn erzählt. Er wird Bewegung und neue Bilder in das Vaterthema bringen, das wir seit Wochen zäh durch unsere Sitzungen schleppen, das uns beide lähmt und mich ideenlos macht. Eine hoffnungsvolle Veränderung kündigt sich für mich an. Aber was verbindet Jana mit dem Traum? Warum bezeichnet sie ihn als Alptraum und vor allem, wie möchte sie ihn verändern?

 

Ich schlage Jana vor, dass wir zunächst ganz „konventionell“  ihre Einfälle zu dem Traum sammeln. Danach überlegen wir, wie sie den Traum beeinflussen kann. Damit ist sie einverstanden.

 

„Zu dem Traum ist mir als erstes eine Episode aus ‚Sex and the city’ eingefallen“, beginnt sie. „Mirandas Schwiegermutter hatte einen Schlaganfall und Miranda kümmert sich um sie. Die Schwiegermutter ist verwahrlost und soll jetzt bei Miranda leben, aber sie läuft weg, kramt in Mülltüten. Miranda ist eigentlich eine Karrierefrau, ganz auf Distanz. Sie tut sich schwer mit Gefühlen, kann eigentlich keine Gefühle zulassen. Sie wollte keine Kinder, wollte nicht heiraten. Dann kümmert sie sich aber um ihre Schwiegermutter“.

 „Meine Oma hat immer gesagt: Ich bin eure Oma“, ist ihre nächste Idee, „Warum besucht ihr mich nicht? Ich konnte sie aber nicht besuchen, ich habe mich so vor ihr geekelt. Wenn sie betrunken war, hat sie uns beschimpft. Am Ende hatte sie Alzheimer, hat uns gar nicht mehr erkannt. Es war nur grässlich bei ihr, und ich musste mich überwinden, dahin zu gehen.“

 

Diese Oma ist die Mutter ihres Vaters. Janas Vater ist manisch-depressiv, er hat eine bipolare Störung, die Großmutter ist Alkoholikerin gewesen, ein Schicksal, mit dem Jana hadert, das sie nicht annehmen kann, für das sie sich schämt. 

 

„Ein paar Tage vor diesem Traum hat sich mein Vater bei meiner Schwester gemeldet. Er wollte seine Fotoalben abholen und meine Mutter hat sie herausgesucht. Wir haben sie gemeinsam angeguckt. Es war das erste Mal, dass ich mit meiner Mutter über die Familie von meinem Vater gesprochen habe. Es gab da ein Foto von der Oma bei ihrer Hochzeit. Sie sah ganz unglücklich aus. Meine Mutter hat erzählt, dass der erste Mann der Oma, den sie geliebt hat, im Krieg gefallen ist und dass sie dann diesen Mann geheiratet hat, damit die Kinder versorgt sind.

Mir ist aufgefallen, wie wenig ich von der Familie meines Vaters weiß, wie wenig ich von dieser Familie wissen wollte. Ich wollte mich „mit denen“ nie beschäftigen, wollte mich nicht um „die“ kümmern.“

 

Nach einer Zeit des Nachsinnens über den Traum und über ihre Verknüpfung von Traum, Filmausschnitt und realem Erlebnis fährt sie fort:

 

„Miranda steht für meine Distanz und für meinen Wunsch, Nähe zulassen zu können, wie Miranda das auch allmählich konnte. Sie hat sich nie um andere gekümmert und sie hat sich dann verändert. Miranda steht für meine Hoffnung, mich zu verändern, mich zu kümmern.“

 

Damit verbindet  Jana die Frage, wie stark man sich auf einen anderen einlassen darf, wie gefährlich es ist, wenn man seine eigenen Interessen für einen anderen aufgibt. Jana umkreist dieses Thema mit unterschiedlichen Beispielen und da die Sitzung zu Ende geht, frage ich sie, wie sie den Traum mit der Oma verändern möchte?

 

„Am liebsten würde ich den Traum ohne die Oma träumen. Die Oma weglassen. Oder mir sagen, es ist ja alles nur ein Traum“.

 

O je, denke ich, schwankend zwischen Verständnis und innerem Kopfschütteln, das wird nicht möglich sein: Diese schreckliche Oma einfach aus dem Leben verbannen, am liebsten den Vater gleich mit. Wenn es doch nur eine Löschtaste in unserem Gehirn gebe, eine Pille, die uns vergessen macht!

Jana wünscht es sich und wünscht es sich nicht, wie dieser Traum und ihre Einfälle dazu zeigen. Der Vater als Teil von ihr macht auch sie kleiner, deshalb soll er weg. Das geht nicht, sie weiß es und ist darüber unglücklich.

Zunächst aber reagiere ich enttäuscht auf ihren Einfall, den Traum ohne die Oma träumen zu wollen.

Da waren wir doch schon mal! denke ich resigniert.

Dann fällt mir das Bild der Bergwanderung ein. Ein schönes Bild für den oft mühsamen therapeutischen Prozess: Man steigt in Serpentinen einen steilen Berg hinauf, und blickt von Zeit zu Zeit auf den Ausgangspunkt zurück. Es sieht so aus, als ob man immer wieder zu demselben Ort zurückkehrt, doch liegt der Ort jedes Mal höher. Die Aussicht verändert sich nur unmerklich, bis man plötzlich auf ein Hochplateau kommt und einen berauschenden Ausblick auf die Bergwelt hat. Auch in der Therapie scheint sich das Gleiche zu wiederholen, und doch verändert es sich allmählich und schlagartig ist dann etwas Neues da. Der Aufstieg ist langsam und mühsam. Und doch wird man immer wieder durch neue Aussichten belohnt. Und wenn man zurückblickt und den Weg sieht, den man schon gegangen ist, dann fühlt man Stolz und Freude.

Viele Patienten neigen dazu, und Jana ist eine von ihnen, nur nach oben zu schauen zu den unendlich entfernten hohen Gipfeln und zu verzweifeln, angesichts der Unmöglichkeit, diesen Gipfel mit ihren geringen, schnell erlahmenden Kräften zu erreichen. Gemessen an der Wegstrecke, die vor ihnen liegt, haben sie das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen. Es ist dann die Aufgabe des Therapeuten, die andere Sicht, die andere Perspektive zu eröffnen. Den Blick zurück zu wenden auf den Weg, den man schon geschafft hat, die Stationen, die kleinen Veränderungen.

An all das denke ich und daran, dass es in der Tat eine spezielle Technik bei Alpträumen gibt und so schlage ich Jana ein kleines Experiment vor:

Sie soll sich den Traum wie einen Film vorstellen oder wie ein Bühnenstück. Sie soll sich vorstellen, dass sie jetzt – ganz bequem zurückgelehnt in ihrem Stuhl -  die Oma und die Jana betrachtet, wie die da miteinander zugange sind und sich überlegen, was der Jana wohl helfen könnte, besser mit der Situation umzugehen. Was die dazu bräuchte. 

„Mehr Konsequenz!“ ist das erste, was die Jana im Stuhl der Jana im Film zuruft.  „Alle Flaschen in den Abfluss kippen! Auf den Tisch hauen: So jetzt ist Schluss“.

Jana coacht sich gerade selbst und ihr Verhältnis zum Traum verändert sich. Sie fühlt sich der Oma nicht mehr so ausgeliefert, konfrontiert sich mit ihr und besteht die Konfrontation.

„Jana“, sagt sie zum Ende der Sitzung nachdenklich, „bräuchte mehr Mut und Vertrauen, dass sie was verändern kann. Sie denkt immer noch, andere müssen sich ändern, andere müssen dafür sorgen, dass es ihr besser geht. Es geht aber darum, dass sie für sich sorgt. Dazu braucht sie Mut und Vertrauen“, bestätigt sie noch einmal mit nachdrücklichem Kopfnicken „das hilft ihr“.

Und damit liefert sie am Ende der Sitzung noch eine Traumdeutung: Sie als Jana muss sich um den verkümmerten, den bedürftigen Teil in sich kümmern.

Und: sie muss sich dabei von mir helfen lassen, meine Hilfe bei ihrer Verselbständigung nicht  zurückweisen.

Denn das bedeutet der Traum auch. In den letzten Sitzungen hat sie sich geweigert, Hilfe anzunehmen, um ihren Zustand verändern zu können. Der Appellationscharakter des „Mir geht es ja so schlecht, und ihr alle seid Schuld daran“ war so wirkmächtig, dass sie ihn  nicht aufgeben konnte.  

 

Psychotherapeutische Praxis Regina Konrad

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