Kinder, die nicht zur Schule gehen

 

Once upon in America

 

 

 

Den achtjährigen Thomas Alva Edison nannte der Lehrer vor der ganzen Klasse einen Hohlkopf. Thomas lief daraufhin nach Hause und erklärte seiner Mutter, dass er nie wieder in die Schule zurückkehren werde, was er auch nicht tat. Dafür baute er  im Keller des elterlichen Hauses Experimente aus der „Schule der Naturphilosophie“ nach und wurde einer der genialsten Erfinder der Welt.

 

Später sagte er: „Ich kann mich erinnern, dass ich in der Schule nie zurechtkam. Ich war immer der Letzte in der Klasse. Ich hatte das Gefühl, dass mein Lehrer mich nicht mochte und dass mein Vater meinte, ich sei dumm“ (Prause 1998, 245).

 

Ganz im Gegensatz zu seiner Mutter. „Meine Mutter hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Sie verstand mich, sie ließ mich meinen Neigungen nachgehen“ (Prause 1998, 246). Sie vermittelte ihm die Liebe zum Lernen und zum Lesen.

 

Eines von vielen Beispielen aus Prauses Buch „Genies in der Schule“. Recherchiert habe er die Schulkarriere von unterschiedlich Erfolgreichen, so er selber, eigentlich, um die These zu widerlegen, dass alle Genies schlecht in der Schule waren. Alle, so kann man nach der Lektüre sagen, nicht, aber sehr, sehr viele, wie Churchill, Shaw, Kafka, Rilke, Thomas und Heinrich Mann, Gide, Musil, um nur einige zu nennen. Prause bringt eindrückliche Zeugnisse davon, dass Kreativität und spezielle Begabungen in der Schule wenig gewürdigt werden, dass gerade die Kreativsten und Sensibelsten - sehr eindrücklich Hesses autobiografische Schilderung “Unterm Rad“ (1988) - in der Schule immer noch „unter die Räder“ geraten.

Die Beispiele in diesem Buch zeigen nicht minder eindrücklich, dass Lernen und Emotion zusammenhängen, dass die Liebe zum Lernen zu vielen Kindern und Jugendlichen in der Schule ausgetrieben wurde und wird.

 

 

In Berlin

 

Immer mehr besorgte Eltern melden ihre Söhne und Töchter in meiner Praxis an, weil diese in der Schule scheitern oder sich weigern, weiterhin zur Schule zu gehen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie haben aber auch etwas mit Missachtung und Demütigung zu tun, mit einer Umgebung, die anscheinend für immer mehr Kinder und Jugendliche das Lernen erschwert und nicht befördert.

 

Im August 2003 hat die Senatsverwaltung(1) eine Broschüre über Schuldistanz(2) herausgegeben, in der sie Zahlen zum Fernbleiben vom Unterricht veröffentlicht, und sich mit den Gründen und Ursachen für eine zunehmende, in Zahlen ablesbare Schulunlust beschäftigt.

Darin werden die Risikofaktoren gesehen

  • im sozialen Umfeld und in der Familie
  • in der Persönlichkeitsstruktur des Jugendlichen
  • in der Jugendkultur/Clique
  • in der Gesellschaft
  • in der Institution Schule.

 

Im zweiten Schulhalbjahr 2001/2002 fehlten nach dieser Studie in Berlin

10 751 Schüler/innen 21 bis 40 Tage, wobei der Schwerpunkt bei der Hauptschule lag: 18,5 % der Schüler/innen, d.h. fast jede 5., fehlten mehr als 20 Tage. Der höchste Wert der Fehlzeiten lag in der Klassenstufe 7 und 8., einer Klassenstufe, in der beginnende Pubertät und Schul- und Bezugspersonenwechsel zusammenkommen (Senatsverwaltung 2003, 8f.).

 

Am Beispiel einer aufgeweckten und intelligenten 14-Jährigen möchte ich mich mit den Hintergründen auseinandersetzen, die bei diesem jungen Mädchen dazu geführt haben, dass sie nicht mehr zur Schule gehen wollte/konnte (Link: Sara). Ich möchte Sequenzen aus der therapeutischen Arbeit darstellen, den Prozess meiner Arbeit mit dieser Jugendlichen transparent machen, aber auch die Grenzen dieser Arbeit aufzeigen, die eben „nur“ psychodynamische und familiendynamische Aspekte bearbeiten kann, das gesellschaftliche Umfeld als gegeben voraussetzen muss.

 

Eine Frage sollte wie ein roter Faden durch diese Falldarstellung mitlaufen: Welche schulischen oder außerschulischen Angebote brauchen Kinder wie Sara, damit durch familiäre Krisen ausgelöste Leistungseinbrüche nicht zu einem Ausschluss aus der Bildungsstufe führen, die sie von ihrer Intelligenz her bewältigen könnten? Oder anders ausgedrückt: Ist es sinnvoll, eine Jugendliche von der Gesamtschule zur Realschule zur Hauptschule „durchzureichen“ und erst wenn sie dort scheitert, erste Förder- und Auffangmaßmaßnahmen zu ergreifen? Wäre es nicht sinnvoller, Einrichtungen wie Schulstationen in jeder Schulform – also auch im Gymnasium und in der Realschule - einzurichten?

  

 

Sara - Ausschnitte aus einem Therapieverlauf

 

Leon - Ausschnitte aus einem Therapieverlauf
 
anregend:
Jedes Kind ist hochbegabt ein Buch von Gerald Hüther

(1) Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport in Kooperation mit der Landeskommission Berlin gegen Gewalt Schuldistanz - eine Handreichung für Schule und Jugendhilfe

(2)Schuldistanz ist ein Begriff aus der Sozialpolitik. Im klinischen Bereich wird zwischen Sozialer Phobie, Schulangst, Schulphobie und  Schuleschwänzen wie folgt unterschieden.

Sozial ängstliche Kinder können manchmal den Schulbesuch verweigern. Sie umgehen damit die ängstigenden sozialen Situationen. Einer Schulverweigerung können jedoch sehr unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen, nicht nur soziale Ängste. Das Kind kann zum Beispiel die Schule verweigern, weil es Probleme hat, sich von den Eltern oder Bezugspersonen zu trennen. Man spricht in diesem Fall von der „Schulphobie“. Die Furcht vor dem Lebensraum „Schule“ wird als Schulangst bezeichnet. Zum einen kann die Schulangst auf eine Angst vor Leistungsversagen aufgrund tatsächlicher Lernschwächen, Begabungsmängel, Teilleistungsstörungen oder emotional bedingten Lernstörungen zurückgeführt werden. Zum anderen kann sie durch Angst vor Demütigung aufgrund körperlicher Schwäche, Krankheiten Missbildungen oder Ungeschicklichkeit bedingt sein. Von „Schule schwänzen“ spricht man, wenn das Kind keine Lust hat, sich den schulischen Anforderungen zu stellen und es vorzieht, zu bummeln, herumzustreunen oder sich in Kaufhäusern aufzuhalten. Die Unlust und nicht die Angst ist hier also Ursache der Schulverweigerung.

Aus: Melfsen, S.: Soziale Phobie bei Kindern und Jugendlichen. In: Stangier, U./Fydrich, T. (Hrsg.): Soziale Phobie und Soziale Angststörung. Hogrefe. 2002 S.273f

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