Die kleine Wolke

Eine Vorlesegeschichte für einen ruhigen, tiefen Schlaf

An manchen Tagen können wir mit unseren Augen die Wol­ken am Himmel auf ihrer weiten Reise um die Welt ein Stück begleiten. Es gibt viele verschiedene Wolken, sie unterscheiden sich in ihren Formen und Farben. Wir können lange zum Himmel sehen, um sie alle in Ruhe zu betrachten.

Der Wolkenhimmel ist wie eine große Bühne, auf der allerlei ge­schieht. An manchen Tagen fliegen die Wolken so schnell, dass wir Mühe haben, ihnen mit unseren Augen zu folgen. An anderen Tagen bläst der Wind so kräftig, dass die Wolken schnell ihre Form verändern. Dann entstehen ganz neue Wolkenbilder. Es gibt helle und dunkle Wolken, große und kleine, dicke und dünne.

Im Sommer hängen oft riesengroße, blütenweiße Wolken wie Wat­tebüschel im Blau des Himmels. Es gibt Wolken, die wie große, zarte Federn aussehen, oder Schäfchenwolken, die den Himmel dicht be­völkern. Oft ist eine große Wolke von vielen kleinen umgeben. An manchen Tagen ist der Himmel durch schwarze Wolken ver­dunkelt. Es sind die Regenwolken, die darauf warten, ihre schwere Last abwerfen zu können. Auf der Erde warten Menschen, Tiere und die ganze Natur in vielen Ländern und Kontinenten auf den fruchtbringenden Regen. Ihren Quellen und Flüssen droht sonst Gefahr zu versiegen, und die Ernten müssen verdorren. Die kleine Wolke, von der unser Märchen handelt, gehört zu einer großen Wolkenfamilie, die seit Jahrhunderten die Natur mit le­bensspendendem Regen versorgt. Die kleine Wolke hat viele Ge­schwister, Vettern und Cousinen, mit denen sie die vergnüglich­sten Stunden verbringt. Dann ist am Himmel ein Gerenne und Geschrei, dass manche alte Wolke ihr Gesicht verzieht. Das muntere Treiben stört den geruhsamen Schlaf der Alten, die viele, weite Reisen um die Welt hinter sich haben und sich nun ausruhen wollen.

Auch in der Nacht, wenn alle Kinder auf der Erde schon schlafen, ist am Himmel noch reger Betrieb. Die Wolkenkinder spielen Fan­gen und Haschen, sie rennen um die Sterne herum, hinter denen sie sich verstecken können. Der Mond beobachtet belustigt ihr Treiben.

In einer schönen Nacht toben die Wolkenkinder wieder einmal vergnügt herum, bis plötzlich ein Schrei ertönt. Eins der Wolken­kinder, der jüngste Vetter unserer kleinen Wolke, ist an der Spitze eines großen, funkelnden Sterns hängengeblieben. Mit eigener Kraft kann er sich nicht mehr befreien. Je mehr er zieht und zerrt, desto mehr verhakt er sich. Er weint so fürchterlich, dass seine Tränen unaufhaltsam als lebensspendender Regen zur Erde rinnen.

Die Wolkenkinder sind so erschrocken, dass sie davonlaufen und sich in dem Schoß einer Wolkenmutter verstecken. Nur unsere kleine Wolke verliert nicht die Ruhe. Sie wird ihren Vetter befreien. Sie fliegt über den Stern, über all seine Sternspitzen. Zart fasst sie ihren Vetter an und zieht ihn von oben ganz behutsam an, weg von der Sternspitze. Sie zieht behutsam, aber mit Leibeskräften. Sie ächzt vor Anstrengung, ganz warm wird ihr dabei. Und siehe da, der Vetter kommt frei.

Überglücklich bedankt er sich und fliegt zu seinen Geschwistern zurück. Unsere kleine Wolke ist froh, aber auch erschöpft von all der Aufregung und Anstrengung.

Sie fühlt, wie müde und schwer ihre Glieder sind.

Ihr ganzer Körper ist schwer.
Fühl mal, wie schwer er ist.
Der ganze Körper ist schwer.
Ihr Körper ist auch warm geworden.
Der ganze Körper ist warm, wohlig warm.
Fühl mal, wie warm der Körper ist.
Der ganze Körper ist warm.                                                    

Sie legt sich zum Schlafen nieder. Sie überdenkt noch einmal diesen Tag und dabei fallen ihr langsam die Augen zu.

Sie liegt ganz entspannt und gelöst.

Ihr ganzer Körper ist gelöst, entspannt.

Fühl mal, wie gelöst und entspannt sie ist.

Ganz ruhig ist sie und vollkommen entspannt.

Sie träumt die schönsten Träume.  

Aus: Else Müller: Träumen auf der Mondschaukel. Kösel                                                      

 

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