Das ängstliche Kätzchen
Du liegst ruhig und entspannt auf deiner weiten Wiese, die Sonne ist hell, und du blinzelst hinein und bist fast schon eingeschlafen, da hörst du aus der Ferne ein klägliches Stimmchen:
«Miau, miau», ruft es, und du stehst auf und schaust nach.
Über die Wiese gehst du, am Wäldchen vorbei und kommst an das Stoppelfeld. Da schleicht ein kleines Kätzchen ganz verschüchtert auf dem Feldweg dahin und schaut dauernd ängstlich nach links und nach rechts.
«Was ist denn los, kleines Kätzchen?» sprichst du es an. «Hier fahren doch gar keine Autos, warum so vorsichtig?»
Wie es dich hört, tut das Kätzchen einen gewaltigen Satz in die Luft ‑ und bleibt dann vor Schreck wie erstarrt stehen.
«Aber ich tu dir doch nichts», sagst du, «du kannst mir schon vertrauen. »
«Wie schön», sagt das Kätzchen und atmet ganz erleichtert durch. «Die Mäuse und die Vögel», schüttet es dir sein Herz aus, «weißt du, alle sagen, dass die sich eigentlich vor mir fürchten sollten, alle sagen das, und so wird es schon stimmen, ‑ aber dabei habe doch ich so große Angst vor ihnen. »
«Was, ein Kätzchen, das sich vor Mäusen fürchtet!» wunderst du dich.
«Ja, jetzt lachst auch du mich aus», sagt das Kätzchen traurig.
«Aber nein», antwortest du, «doch wenn du dich von den Mäusen und Vögeln fernhältst, dann wirst du dich immer vor ihnen fürchten.
Nicht verzagen, auch was wagen!
Komm, wir gehen über das Feld! »
Die Stoppeln des gemähten Getreides kitzeln ganz komisch an den Fußsohlen, als du darüber läufst, aber du hältst tapfer durch, und das Kätzchen folgt dir, nachdem es sich erst noch mal vorsichtig umgeschaut hat.
Zunächst hält es sich immer dicht hinter dir. Und wie ihr daherkommt, verschwinden die Mäuse in ihren Mäuselöchern, und die Spatzen schimpfen, lassen ihre aufgelesenen Körner fallen und fliegen in Scharen auf in den Himmel. Du hörst, wie das Kätzchen hinter dir immer wieder vor sich hinmurmelt:
«Nicht verzagen, auch was wagen! »
Und es merkt jetzt ja, dass die Mäuse und die Spatzen auch nicht gerade die Mutigsten sind ‑ und dann stürzt es plötzlich hervor wie ein Tiger und treibt die Mäuse und die Spatzen auseinander und vor sich her.
«Hurra! » miaut es begeistert und springt zu dir zurück. «Jetzt werde ich vielleicht doch noch eine richtige mutige Katze wie Papa und Mama und alle die anderen! Vielen Dank, dass du mir geholfen hast. »
«Aber das hab ich doch gar nicht, das warst du doch selbst», antwortest du. «Ich hab dir nur gesagt, einmal auszuprobieren, ob du dich auch wirklich fürchten musst. »
«Ja, es einmal ausprobieren», strahlt das Kätzchen und schnurrt, «das werd ich jetzt immer. »
Und dann wandert es stolz mit erhobenem Haupte mitten über das Stoppelfeld davon. Und auch du machst dich wieder auf den Heimweg, zurück zu deiner schönen Wiese.
Aus: Sabine Friedrich: Volker Friebel: Entspannung für Kinder